Zehn Monate sind vergangen, seit dem Tag des Urteils. Zehn Monate, seit der Mann freigesprochen wurde und sie lebenslänglich bekam. Ihr privates lebenslang. Keine Zelle, aus dem sie entrinnen könnte, kein Gefängnis, aus dem Flucht möglich war. Ein unsichtbarer Kerker, mit vielen unterirdischen Gängen, Höhlen und Verzweigungen, groß und weitläufig, dunkel und kalt, und in seiner Einsamkeit hallend die Schreie ihres Kindes.
Kalle hatte schon alles abgerissen. Große Häuser, kleine Häuser, Tankstellen und Kleingartensiedlungen, Kindergärten, Lagerhallen, Kasernen, Mietshäuser, Bürohäuser, Spielplätze, Wellblechsiedlungen, Bahnhöfe, Flughäfen, sogar Schlösser und Burgen. Letzteres war meist illegal und ein Verstoß gegen Denkmalschutzauflagen gewesen, aber auf dem flachen Land war mit Geld und Einfluss einiges möglich. Es gab jedenfalls kaum etwas – sei es Gebäude, Gelände, Bebauung jeder Art - das er nicht schon in Schutt und Asche gelegt hätte.
Es gibt keine offiziellen Aufzeichnungen über den Zwischenfall. Bei der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung BFU ging nie eine Meldung ein. Weder der Flughafen, noch die Airline, noch die Passagiere hatten irgendetwas angezeigt. Bis heute weiß niemand offiziell von dem Zwischenfall. Viele wussten inoffiziell Bescheid, aber niemand erstattete eine formale Meldung. Das war seltsam und sicher nicht korrekt, aber es war so. Vielleicht war es der Schock, der allen in den Knochen steckte.
Rostbraune Wellblechdächer, so weit das Auge reicht. Dazwischen und am Horizont einzelne Gebäude aus Beton, ein Wirrwarr von Stromleitungen und Antennen. Irgendwo ragen zwei weiße Minarette aus der graubraunen Eintönigkeit des Elendsquartiers, eines von vielen in Lagos.
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