„Arschloch-Generation“, sagte der alte Mann und meinte damit eigentlich alle. Georg war das recht, denn er konnte ihn verstehen. Der alte Mann saß vor seinem Fenster und blickte stumpf hinaus in die entlaubte Vorwinterlandschaft des großen Parks vor seinem Fenster, in der die Bäume verzweifelt ihre Äste reckten und versuchten, die Scharen krächzender Krähen abzuschütteln, die mit bösen herrischen Blicken zum Altersheim herüberspähten.
„Sie sind aus gutem Grund schwarz, die verdammten Biester“, sagte der alte Mann an seinem vorletzten Tag, als Georg ihm morgens die Pillen brachte, so wie jeden Morgen, seit er hier seinen Zivildienst begonnen hatte. Der Alte saß in seinem Sessel und vor dem Fenster seines Wohnzimmers hatten sich ebenfalls einige Krähen niedergelassen und schrieen, als hätten sie vergiftetes Fleisch gefressen. Es war Allerheiligen und viele im Altersheim würden heute Besuch bekommen. Der alte Mann nicht. Sie hatten ihn abgeschoben und ließen sich nur zu Weihnachten kurz blicken, zu einem kurzen Moment von Vorwurf, Schuld, Verbitterung und implodierter Aggression.
„Todesvögel!“ – sagte der Mann andächtig und Georg rieselte ein Schauer über den Rücken. Warum eigentlich?, fragt er sich, aber er wusste, dass es darauf nur eine Antwort gab: Diese alten Menschen wussten manchmal Dinge, die er nicht wusste, und die er gar nicht wissen wollte, denn sie machten ihm Angst.
„Todesvögel“, sagte der Mann noch einmal. „Sie kündigen den Tod an, weißt du?“
Georg nickte, sagte aber nichts. Er hörte einfach zu.
„Ich habe keine Angst vor dem Tod“, sagte der Alte. „Ich nicht. Bin Kriegsteilnehmer. Das wissen sie ja, oder? Habe ich ihnen schon gesagt, nicht?“
Ja, allerdings. Oft schon. Ausgerechnet ihm, dem Kriegsdienstverweigerer.
„Wissen sie, Georg, Kriegsteilnehmer, die haben keine Angst mehr. Vor niemandem. Vor nichts. Alles schon gesehen, schlimmer kann´s nicht kommen. Wenn überhaupt was kommt. Ich denke, es kommt nichts. Ist mir aber auch egal. Kein Himmel, keine Hölle, kein Gott. Es gibt nichts. Nicht davor, nichts danach. Es gibt keinen Gott. Lass dir keinen Scheiß erzählen, von niemandem. Glauben sie nur das, was sie glauben wollen. Und können. Es gab kein davor, oder erinnern sie eines? Es gibt kein danach. Ist ein bisschen wenig, so am Ende eines Lebens, oder? Ist aber so.“
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