EGAL

„Ich mach´s wieder gut, ich bringe das wieder in Ordnung“, sagte Piet mit müder Stimme.

„Das sagst du immer“, erwiderte Edo.

„Und? Klappt es nicht auch immer?“

Edo und Piet ächzten mit so schweren Beinen die letzten Stufen der Treppe in den vierten Stock hoch als steckten sie bis über beide Knie in Bitumen. Irgendwo schlug eine Uhr halb sechs. In Piets Ohren klang es anders als abends um die gleiche Zeit, soviel wenigstens erkannte er. Es war also am frühen Morgen. Okay.

„Scheiße“, stöhnte Piet, als es ihm einfiel. „Um zehn muss ich los.“ 

Los, das hieß: Zu seinem derzeitigen Arbeitgeber, einem dicklichen, aus dem Libanon stammenden, mit Goldschmuck um Hals und Finger behängten lokalen Getränke-Moguls, der sich - über welche Wege und mit welchen Mitteln auch immer - eine örtliche Monopolstellung in diesem Geschäft verschafft hatte und eine ganze Kette von sogenannten „Trinki-Märkten“ in der Stadt betrieb. Piet arbeitete vier Stunden am Tag in der „Zentrale“ als Lagerarbeiter. Das musste eigentlich nicht sein. Wirklich nicht. Piet hatte Geld genug. Eigentlich. Seine Eltern, von denen er allerdings schon einige Jahre nichts gehört hatte, besaßen in Bremerhaven eine Reederei. Das heißt, sie gehörte ihnen nur noch zu dreißig Prozent, aber bei einem Unternehmen mit 1,4 Milliarden Euro Umsatz war das genug. Für alle. Selbst für Edo, den die Familie schon vor Jahren abgeschrieben hatte. Im übertragenen wie finanziellen Sinne. Denn durch von Winkeladvokaten ausgetüftelte steuerfreie Übertragungen hatte Piet vor fünf Jahren eine so hohe Auszahlung bekommen, dass der Schalterbeamte bei seinem spaßeshalber unternommenen ersten Versuch, am Schalter am Montagmorgen eine sechsstellige Summe abzuheben die Polizei gerufen hatte, die seine Personalien überprüfte, weil auch die Beamten vor Ort sich nicht vorstellen konnten, dass diesem verwahrlosten Subjekt ein derartiges Vermögen gehören konnte. Nein, arbeiten, das musste er wirklich nicht. Er tat es dennoch, vermutlich aus Langeweile, vor allem aber, um keine dummen Fragen beantworten zu müssen. Was macht der Typ eigentlich? Von was lebt der Junge? Hat der nichts zu tun? Das alles ging außerdem niemanden etwas an. Piet hatte sein Geld für zehn Jahre fest angelegt und zwar mit voller Absicht so, dass sich die jeweiligen Geldanlagen verlängerten oder in andere Anlagen übergeführt wurden und für ihn in jedem Fall eine Kündigungsfrist von einem Jahr bestand. 

„Das schützt mich vor mir selbst“ hatte Piet dem Vermögensberater erklärt, der sein Glück kaum fassen konnte. So hatte Piet Geld und doch keines. So sollte es sein. Die geringe monatliche Ausschüttung reichte jedenfalls fürs Überleben. Mehr braucht er nicht. Edo, der ewige Zweifler und Nörgler, hatte jedenfalls keine Fragen. Edo war sein bester Freund, aber er wusste nichts von dem Geld, noch nicht einmal Neeske wusste etwas. Neeske, das war seine derzeitige Freundin. Für sie wie für alle anderen war Piet ein gelangweilter Taugenichts, der sich seine angeblich bezogene Sozialhilfe durch Schwarzarbeit in einem Getränkelager aufpolierte. 

 

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