Das war richtiger Regen. Kräftig. Stark. Von wütender Wucht. Nicht nur ein bisschen plätschernd. Nicht nur mal für eine halbe Stunde oder einen halben Tag. Nicht nur ein kurzer Schauer, eine durchziehende Regenfront, ein Gewitter, lokaler Niederschlag. Es war dichter, dicker, extrem rasch fallender großtropfiger Landregen, ein wahrer Wolkenbruch. Er hatte einen derartigen Regen bislang nicht erlebt. Es war für seine Begriffe kein „normaler“ Regen mehr, kein leise rauschender Wochenendregen, wie er ihn als Städter eigentlich nur noch kannte: Das leise an- und abschwellende Prasseln feiner, strähniger Tropfen oder ein feucht dampfendes Sommergeniesel oder ein Frühlings-Schlechtwetter. Nein, das war etwas, was es vielleicht nur hier gab, wo Natur noch Natur war, eine Natur, die jedenfalls den Kampf gegen die überall eingreifende Menschenhand noch nicht verloren hatte, sondern unbesiegt wucherte, tobte, sich täglich aus sich selbst neu erschuf. Dieses Wetterphänomen hier, das war ein fortwährender, über Stunden und Tage nicht enden wollender Platzregen, ein einziger, sich selbst erneuernder Wolkenbruch, hin und wieder schwankend in seiner Intensität, immer aber von konzentrierter, bösartiger Heftigkeit, ein spürbarer Atmosphärenangriff in dichten Fäden dicker Wasserpakete, dunkel und schwer hängend vor dem Horizont wie die Bleivorhänge in den Röntgenkabinen seines Krankenhauses, wo er arbeitete. Die Wälder, die die kleine Hütte umgaben, rauschten dumpf und leidend, die Wolken drückten auf das gedrungene Steinhaus mit dem Holzschindeldach herab, als wollten sie Marek die Luft zum Atmen nehmen. Das wabernde Grau tief hängender Dunstfetzen hüllte die ganze Landschaft in schwurbelige Ballen wogender Watte. Die Erde rund um die Hütte war zum Platzen erfüllt von Feuchtigkeit, die Wiese warf feuchte Erdgeschwulste auf wie Wellen, an den Rändern des Grundstücks und auf den Steinstufen der Terrasse stand das Wasser. Der Bach, der keine fünfzig Meter neben der Selbstversorgerhütte des österreichischen Alpenvereins normalerweise friedlich zu Tal zischte, war zu einem reißenden, olympianormentsprechenden Wildwasser angeschwollen, ein mahlender Strom, der zischend Äste, Zweige, Holzbruchstücke, ganze Baumstämme und Steine so groß wie Bierkästen vom Berg herab riss und in die Tiefe schleuderte. Das Rauschen des permanenten unerbittlichen Regens dämpfte Mareks ohnehin düstere Stimmung weiter und dimmte die Fähigkeit zu glücklichem inneren Leuchten auf funzelnde Minimallichtstärke. Der Wetterdienst hatte das ausgedehnte Tiefdruckgebiet gemeldet, als es sich noch seinen Weg über Slowenien, Norditalien und später Niederösterreich zu bahnen begann und Marek war zumindest nicht unvorbereitet.
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