KILLING JOKE: 
EUROPEAN SUPERSTATE

Veröffentlicht: 2010

Platte: Absolute Dissent

Kulturraum: UK

Genre: Postpunk

Länge: 3:50

 

“I'm a Judeo Christian morality | With a Greco Roman intellect | It's the way we're short-wired |
It's a civilizing force that demands respect”. Ist das einer der am stärksten missverstandenen Songs von “Killing Joke“? Wie muss man ihn heute verstehen? In den üblichen reflexhaften Reviews der Veröffentlichung von „Absolute Dissent“ (Album, 2010) wird „Dissent“ als Widerspruch gegen jene politischen Verhältnisse verstanden, die in der Szene erwartbarerweise als „der Feind“ dekodiert werden und dazu zählt die Europäische Union als Golem der Weltgeschichte gerne auch mal dazu. Zweifellos gehört der Song „European Superstate“ zu den noch explizit-politischen Liedern einer Epoche, die „komplizierte“ Texte zu produzieren wusste. 

Heute gibt es nicht nur eine jüngst festgestellte Ent-Intellektualisierung in der (musikalischen) Jugendkultur (die sich in Wortschatz-Schwund und repetitiver Langeweile von Pop-Songs äußert), sondern, vielleicht schlimmer noch, gibt es geradezu eine intellektuelle Degeneration bei jenen, die – ungeachtet fortschreitenden und oft schon fortgeschrittenen Alters - ideologisch und phänotypisch in irgendeiner Jugendkultur hängengeblieben sind wie die Nadel in der Endlosrille ihrer abgenudelten Langspielplatten. Frühere ideologische Unvereinbarkeiten spielen dabei heute kaum mehr eine Rolle: degenerierte Punks verstehen sich prächtig mit degenerierten Fußball-Fans, mit Graubart-Bikern, tapsenden Metal-Kutten-Trägern, Alt- Hippies, Ökos jeder nur denkbaren Couleur, Skins und Nazis: Man sieht (oder: sah) diese Endzeit-Koalitionen beispielhaft auf den Demonstrationen querdenkender Friedens- oder Corona- Fuzzis, bei denen einzig die kadermäßig geschulten Rechtsradikalen noch Jugend und Kampf glaubwürdig zu verbinden scheinen: Sie stehen nämlich auf dem Lautsprecher-Lastwagen und bedienen die Technik und haben im Zweifel die Demo auch angemeldet. 

Die wichtigsten intellektuellen Schlachtfelder, auf denen sich diese geschlagenen Untoten ihre letzten Meter schleppen, sind leider bedeutend für das, was einmal als Abendland einen guten Klang hatte. A-Historik und die Verachtung der Mathematik vernebeln heute aber die Sinne gründlicher, als jeder mittlerweile legalisierte Joint es jemals könnte, wobei das Zusammenspiel beider Phänomene auch nicht gerade selten auftritt. Die „Theorie von der Geschichte“ ist das Gegenteil emotionalisierter Unmittelbarkeit aus Bullerbü. Historik ist der (manchmal kalte) Blick auf das, was geschehen wird, weil es oft schon so geschehen ist und man aus den Dingen lernen könnte, wenn man denn wollte. Und die „Lehre von Zahlen, Figuren und Rechenoperationen“ wird dann erst wirksam, wenn, die Operatoren auch zu Ende gedacht werden: Beide Seiten von Gleichungen betrachten. Das „Ist-Gleich“ ernst nehmen. Den Pfeil „Daraus-folgt“ akzeptieren. Man kann das alles auch leugnen. Aber es ergibt keinen Sinn. Als Francis Fukuyama 1989 das „Ende der Geschichte“ diagnostizierte, erlag er der Versuchung linksliberaler Friedensdividenden-Auszahlungen, die in dieser Zeit und den Jahren danach viele einsacken wollten und dies auch taten. Näher betrachtet waren es Silberlinge, die da die Besitzer wechselten. Die angebliche Integrationsfähigkeit westlicher Demokratien in Bezug auf präzivilisatorische und außergesetzliche Dominanzformen, mafiösem Bandentum, revitalisierter Radikal-Religiosität und Anti-Intellektualität erwies sich als bittere Desillusion – die heute (eigentlich) für alle erkennbar sein sollte. „Ours to build, ours the choice“ – heißt es im „Superstate“. Das Ausbluten von Werten ist vergleichbar einem Tanker auf hoher See. Bergung ist unmöglich, die demoralisierte Besatzung hat das Schiff längst verlassen. Das alles erstickende Gift rinnt ins Substrat des Lebens und keiner kann das mehr stoppen. Wann das auch im großen Maßstab nicht mehr zu stoppen sein wird, ist schlicht eine Frage der Mathematik. Aber die gilt den Verächtern der Zahl ja auch nichts. „From the Baltic to the straits of Gibraltar | A blue flag gold star sparks a brand new empire | Ours to build, ours the choice | I'm in an European Super State | Every citizen required to debate | I'm in an European Super State | Every citizen required to debate”. Um das Lied zu verstehen, muss mit den Augen des „Jesters“ daraufgeblickt werden, des dreiköpfigen Hofnarren, der, wie Jaz Coleman dem Onlinemagazin THE QUIETUS sagt, die Vielköpfigkeit der Wahrnehmung symbolisiert: “If you look at the song 'Europe' on our fifth album [Night Time 1985] – Geordie's a passionate admirer of Rifkind and the European Dream, and we're all supporters of the European Ideal, I know Big Paul is and Geordie is passionately, so it's just a continuation of our convictions. The origins of the European Union are Jan Huss from Prague in the 1600s. His original idea is worth studying because it's based on the arts, it's based on spirituality. At that time Prague was a bastion of hermeticism and Rosicrucianism and alchemy against the Roman Catholic church, so it's worth looking at our roots there, and that's what we did with this track. It's quite prophetic when you look at the second verse – "why are the proud descendents of Plato paying off more debts accommodating NATO?" It's what we call the triple-headed head-dress of the jester…” (THE QUIETUS) Was bleibt? Zwei Sätze – in jedem Fall: “It's a civilizing force that demands respect | Ours to build, ours the choice.” Unsere Wahl.

 

 

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