Bei Jessica hat es nicht geklappt, weil sie das Dope umgehauen hat. Es war nach Mitternacht und es wurde einfach nicht kalt und kichernd und nackt lag sie im Gras neben ihm und rollte plötzlich den Abhang runter, bis ganz nah ans Wasser, ein Fuß hing schon rein. Dann schlief sie ein, den blinkenden Vaporizer noch in der Hand. Pech. Franzi hatte Goof auf einer Fortbildung kennengelernt, aber mit ihr hat es auch nicht geklappt. Sie wollte nicht Nacktbaden, sie rauchte nicht und einen See gab es dort so oder so nicht. Alles andere aber wollte sie. Redete auf ihn ein, die Augen nach oben gedreht, den Kopf nur eine Handbreit über dem Glas Rotwein, und all die Anzüglichkeiten, das Zwinkern ihrer Augen, das überlaute Lachen, die Hand auf seiner Schulter und irgendwann in seinem Nacken: In diesem Fall war er jedenfalls nicht allein im Fahrersitz. Und danach in ihrem Zimmer, er hörte noch die dummen Sprüche der anderen Fortbildungsteilnehmer, die sie mit Beifall und imitierten Fan-Chören ins Bett verabschiedeten während sie um die kleine Hotelbar herumsaßen und sich ersatzhalber volllaufen ließen, und dann ihr verdammtes Tablet. Sie sitzt nackt auf dem Doppelbett und lässt ihn an der Flasche Sekt herumschrauben, die sie an der gegenüberliegenden Tankstelle geholt haben, der leuchtende Screen liegt zwischen ihrem angewinkelten linken Schenkel und ihrem Becken und beleuchtet ihre Schamhaare und noch bevor er Stop! sagen kann, macht sie ihr Mailprogramm auf und öffnet die Nachricht ihrer Tochter: das Foto eines stupsnasigen Mädchens mit Sommersprossen, ein Kaninchen an die Wange gedrückt und beide strahlen um die Wette: Die Tochter, weil sie die Mutter überraschen will, das Nagetier, weil es jetzt Rache nimmt für sein Schicksal. Sie lächelt entrückt und zeigt ihm das Bild. An Sex kann sie jetzt jedenfalls nicht mehr denken. Auch Pech? Und dann war da noch Kate. Weißgefärbte stiftkurze Haare, braungebrannte Haut, fast schon zu braun, aber das kommt davon, wenn man im Sommer jeden Tag im Schwimmbad verbringt, wo er sie auch kennengelernt hatte, bei der Pfandrückgabe stand sie und beklagte sich, dass irgendwelche Jungs ihren Becher geklaut hätten, weswegen sie jetzt nur noch die Marke habe. Was für ein Schicksal. Zuhause bei ihr kam sie dann mit einem rosaroten Plastikrasierer und einer Schaumdose aus dem Badezimmer und da sie beide bereits nichts mehr anhatten, konnte er an ihr sehen, dass sie es ernst meinte: Am ganzen Körper hatte sie – die blonden Stoppel auf dem Kopf mal ausgenommen – kein einziges Haar mehr. Als er dann auf ihrem mit einer Plastiküberzug abgedeckten Bett lag (heute fragte er sich, wo die so plötzlich herkam…), über und über mit Schaum bedeckt, fing sie an. Unter den Achseln, die Unterschenkel rauf und runter, die Oberschenkel, zwischen den Beinen und als er vorschlug, oberhalb seiner Geschlechtsorgane wenigstens ein kleines Bärtchen stehen lassen zu dürfen, passierte es. Vielleicht war die Klinge schon nicht mehr ganz scharf, vielleicht wurde Kate müde, vielleicht war sie irritiert von was auch immer. Jedenfalls schnitt sie ihn. Kräftig und tief. Seitlich des rechten Hodens. Verletzungen am Kopf bluten stark, Verletzungen an dieser Stelle sind ein Blutbad. Pech? War das noch Pech? Oder war das die Strafe für alles, was er im letzten Jahr getan hatte, für die leichtfertige Trennung, das Scheitern einer einmal wichtigen Beziehung. Seine Schwachheit, seine Lügen, seine Disziplinlosigkeit? Die Annahme, nichts und niemandem mehr verpflichtet sein zu müssen würde in jener Freiheit enden, nach der es ihn schon immer sehnte? Oder lief hier bei ihm grundsätzlich etwas schief? Hatte er sein ganzes bisheriges Glück verbraucht? Gab es so etwas? War Glück wie Kleingeld, das plötzlich aus war, genau in jenem Moment, im dem man es brauchte, dem Moment, in dem keine Kreditkarte mehr weiterhalf? Er weiß bis heute nicht, an was es lag, dass die Dinge, anscheinend von einem Tag zum anderen, in die falsche Richtung zu laufen begannen. Gab es überhaupt noch eine Richtung? Und lief überhaupt noch etwas?
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